Wie geht eigentlich normal?

Mein Name ist Ava und das ist meine Geschichte.

An dieser Stelle möchte ich gar nicht viel über das Buch zu sagen, da „Wie geht eigentlich normal? für sich selbst spricht.

Als ich die Erlebnisse niederschrieb, tat ich dies in allererster Linie für mich selbst. Gegen das Vergessen. Da ich immer wieder darauf angesprochen wurde, eine Biografie zu schreiben, habe ich mich schlussendlich entschlossen, meine Erinnerungen tatsächlich zu veröffentlichen.

Manch einer mag sich an mich erinnern, an die Berichte in den Medien oder an Alive e. V. Wer mich noch nicht kennt, hat hier die Gelegenheit dazu, dies zu ändern.

Mir bleibt  nur, eine interessante Lesezeit mit meiner Geschichte zu wünschen.

Schipselzeit!

Frau verzweifelt

Machtlos zu sein, schmeckte bitter. Hilflosigkeit drängte mich an den Rand der Kräfte. Pennsylvania lag am anderen Ende der Welt und unterhielt ein komplett fremdes Rechtssystem, das es dem Staat erlaubte, Menschenleben zu fordern.
Um der Machtlosigkeit nicht zu erliegen, musste ich etwas Konkretes unternehmen. Dabei half, dass ich diverse Bücher gelesen hatte, vor allem aber die Internetrecherchen der letzten Wochen. Durch sie hatte ich gelernt, dass oft ein kompetenter Anwalt den Unterschied zwischen Leben und Sterben ausmachte. Dass Lemars Familie das dafür nötige Geld nicht besaß, hatte ich geahnt und unser Besuch bestätigte es. So hing sein Leben von Beginn an von einem Pflichtverteidiger ab.
Mir war klar, dass ich das hier nicht allein bewerkstelligen konnte. Ich brauchte Hilfe. Amnesty International galt mein erster Gedanke. Also verfasste ich einen Brief, in dem ich den Fall darlegte und auf die Webseiten verwies. Ich schrieb dem amerikanischen Präsidenten, dem Papst und Nelson Mandela. Ja, ich war verzweifelt!
Die einzige Antwort kam von Amnesty. In dieser lobte man mein Engagement und wünschte mir viel Glück.
Ich bin allein!
Diese Feststellung erschütterte mich bis ins Mark. Doch Aufgeben kam auch jetzt nicht infrage.

»Visit for Johnson!«, rief der Beamte am Apparat und ich eilte zu der schweren Metalltür, durch die zuvor bereits andere Besucher verschwunden waren. Ein Summton, dann ließ die Tür sich öffnen. Sie schloss sich automatisch hinter mir und vor mir tat sich eine neue Welt in Gestalt eines endlos erscheinenden Ganges auf.
Zu meiner Rechten erstreckte sich eine Fensterfront. Die Wärme der Sonnenstrahlen drang nicht nach drinnen, wohingegen die Geräusche draußen blieben. Selbst die eigenen Schritte schienen sich im Nichts zu verlieren. Ein komisches Gefühl erfasste mich. Es fühlte sich ein bisschen so an, als sei ich der einzige Mensch auf Erden. Die Isolation hatte hinter der Tür begonnen und verstärkte sich, je weiter ich diesen Gang entlangschritt. Der Todestrakt lag am Ende des Gefängnisses – am Ende der Welt.
Schließlich erreichte ich abermals eine Tür. Selbstverständlich verschlossen. An der Seite erkannte ich ein schmales Fenster, das die Sicht auf eine Wachkabine freigab. Nichts passierte. Ich wartete. In dieser Abgeschiedenheit verlor selbst Zeit an Bedeutung.
Mit einem Mal durchbrach ein ohrenbetäubendes Geräusch die Stille und die Tür setzte sich in Bewegung. Wachen hinter zentimeterdickem Glas winkten mich vorwärts. Weitere Gänge und Türen folgten, bis ich den Besucherraum erreichte.
Links und rechts entdeckte ich nah nebeneinanderliegend Türen, die zu Kabinen in der Größe von Telefonzellen führten. Geradezu erneut eine Wachkabine.
Da ich nichts anderes tun konnte, hielt ich auf diese zu und gab den Zettel ab. Als ich aufblickte und mich umdrehte, erkannte ich direkt mir gegenüber in der Kabine Lemar. Er strahlte übers ganze Gesicht.

Frau in Küche

Und dann gab es noch Paul. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er das Rad der Zeit zurückgedreht bis zu dem Tag, als der Computer ins Haus kam. Mein Engagement für Lemar konnte er mit ein bisschen gutem Willen noch nachvollziehen. Die Zeitung war ihm ein Dorn im Auge, seit ihm das Licht aufgegangen war, wie viel Arbeit und damit Zeit diese konsumierte. Außerdem trug dieses unscheinbare Blatt die Schuld daran, dass ich mittlerweile in Kontakt zu zahlreichen anderen Mitstreitern stand. Und jetzt ein Verein.
»Du bist doch größenwahnsinnig«, schnauzte Paul nach dem dritten Bier.
»Wir streben nicht die Weltherrschaft an, haben nur einen kleinen Verein gegründet.«
»Für den du jede Minute unserer Freizeit opferst. Was denkst du, wer du bist? Ihr könnt doch von hier nichts ausrichten. Sollen die Amis sich darum kümmern.«
»Klar, wegsehen ist das Einfachste! Aber so bin ich nicht.«
»Du bist in erster Linie meine Frau.«
»Leider.«
»Was soll das heißen?« Er kniff die Augen zusammen.
Ich bereute, dass mir das rausgerutscht war, wollte diesen Streit nicht auf die Spitze treiben.

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