
Hallo ihr Lieben
ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ist mal wieder klar, dass Vin das hier unbedingt wollte. Mein Name ist Jackie und ich bin die Protagonistin des zweiten Bandes „Sehnsucht nach Liebe“.
Vin ist mein Bruder. Er hat sich aus dem Staub gemacht und mich mit allem allein gelassen. Mal wieder.
Und ich kann jetzt sehen wie ich klarkomme. Muss nicht nur mein Leben auf die Reihe bekommen, sondern auch noch hinter Vin aufräumen.
Dabei will ich eigentlich nur eines, also einen. Den Einen, der mich liebt.
Aber das mit der Liebe ist auch so eine Sache, mit der überhaupt nicht klappen will.
Und als wäre dieses Durcheinander in meinem Leben und in meinem Herzen nicht genug, taucht der dieser Privatdetektiv auf und behauptet, Melvin hätte sich nicht erschossen. Sei stattdessen untergetaucht, um irgendwelche Schulden nicht zu begleichen.
Wenn ihr mich dabei begleiten wollt, wie sich mich durch dieses ganze Chaos laviere, nur zu. Lest mein Buch! Ich verspreche euch so Spannund und Herzschmerz.
Schipselzeit!

Im Folgenden möchte ich mit euch ein paar Schnipsel aus der Zeit teilen, in der ich gerade nach New York gekommen bin:
Abgesehen von der frühen Kindheit, in der ich als Vins Schatten durchgegangen wäre, spielten Emotionen eine unbedeutende Rolle zwischen uns. Zugegebenermaßen verstand ich Melvin oft nicht. Seine emotionslose, unnahbare Art verwirrte mich manches Mal. Es hatte Zeiten gegeben, in denen ich meinen Bruder nicht einmal mochte.
…
In der Eingangshalle blieb ich wie gebannt stehen. Starrte mit Entsetzen auf die Statue, die sich mir mitten in den Weg stellte, als wolle sie mich keinesfalls weiter vordringen lassen. Ein kalter Schauer rann mir über den Rücken. Dieses bestimmt drei Meter hohe Ungetüm ähnelte meinem Bruder wie ein überdimensionaler Zwilling.
Ich stierte in das Gesicht des Steinmannes. Es war Melvins und wiederum war es das nicht. Um er zu sein, wirkten die Gesichtszüge zu makellos. Die Mimik dominiert von einer herausfordernden Arroganz, ein Blick, der mir überallhin folgte. Dieses Ding beherrschte die Eingangshalle mit seinen starren Augen, deren eiskalte Ausstrahlung mich fesselte und nicht wieder freigab.
»Er hat Melvin de Flame geliebt«, sagte die Haushälterin.
»Wollen Sie damit sagen, er hat sich selbst mehr geliebt, als alles andere und deswegen dieses Monstrum aufgestellt?«
Sie schüttelte bedächtig den Kopf. »Nein, er war nie wirklich de Flame.«
»Das begreife ich nicht.«
»Ich glaube, den Melvin de Flame in sich hat er gehasst, aber den da …« Sie wies auf die Statue. »Den fand er grandios.«
»Ich verstehe nicht, was Sie damit sagen wollen.«
…
Gleich links lag die Kanzlei von Malcom Finney, Anwalt für Steuerfragen und rechts Tilmans Agentur. Ich suchte vergebens nach einer Klingel und klopfte an die Tür. Als sich daraufhin nichts regte, öffnete ich sie zaghaft und trat hinein.
Das Büro wirkte spartanisch und roch irgendwie muffig. Die karge Einrichtung erschien weder geschmackvoll noch zweckmäßig. An der Wand hingen Fotos von verschiedenen Musikern. Ich betrachtete sie kurz, erkannte nicht einen von ihnen. Zuletzt erreichte mein Blick Mr. Tilman.
Er saß hinter dem Schreibtisch, auf dem sich Papierberge stapelten. Sein dunkles Haar reichte bis über die Ohren und fiel in so gleichmäßige Löckchen, dass ich sofort bemerkte, dass sie ihren Ursprung in einem Frisiersalon hatten. Er hatte sich bestimmt schon vier Tage nicht rasiert und auf seiner Nase saß eine Brille mit schmalem, schwarzem Rahmen. Ich war sicher, er trug sie nur, um wichtiger auszusehen. Sein Mund lächelte verschmitzt, als er kurz aufsah, während seine Augen listig dreinblickten, beinahe ein wenig verschlagen.
»Ich habe keine Zeit.« Sofort wandte er sich wieder seinen Papieren zu.
»Ich bin Jackie Caine. Mr. Brolin hat einen Termin vereinbart.«
Während ich darauf wartete, dass er mich abermals eines Blickes würdigte, hängten sich meine Augen an sein ferkelrosa Jackett. Dieses vereinte sich zu einem grausigen Bild mit dem kanariengelben T-Shirt.
»Der Big Boss hat. Referenzen?« Tilman klang gelangweilt.
Ich schüttelte mit dem Kopf.
»Welche Musiker haben Sie bislang gemanagt?« Während er mit mir sprach, sortierte er Papiere, die ich als Rechnungen identifizierte.
»Ich hatte bisher nicht viel mit Musikern zu tun.« Mit Absicht verzichtete ich darauf, mein Verwandtschaftsverhältnis zu Melvin de Flame zu erwähnen. Es wäre auch übertrieben zu behaupten, ich hätte viel mit ihm zu schaffen gehabt, geschweige denn mit seiner Karriere.
»Wen oder was haben Sie gemanagt?« Er stand auf. Seine laubfroschgrüne Hose verursachte Schmerzen in dem Teil von mir, den ich für guten Geschmack hielt. Tilman öffnete einen Schrank, holte einen Ordner heraus und heftete in aller Seelenruhe die zuvor sortierten Rechnungen ab.
»Niemanden, aber ich kann es lernen. Und ich habe Journalismus und Kommunikation studiert.« Seine Nichtbeachtung beleidigte mich.
»Abschluss?«
»Drei Semester.« Dabei verschwieg ich, dass das dritte kaum angefangen hatte.
Michel
»Komm wieder hinein«, sagte Michel zärtlich.
»So?« Sicher rann mein Make-up in bunten Bächen über das Gesicht, als hätte ich vor dem Duschen vergessen, mich abzuschminken. Darüber hinaus plagte mich die Furcht, erneut die Beherrschung zu verlieren.
»Drinnen ist es dunkel, niemand merkt was.«
»Lass uns nach Hause fahren«, bettelte ich. Der Abend hatte etwas von einem wahr gewordenen Alptraum und ich fand, es sei an der Zeit zu erwachen.
»Das ist nicht das, was du möchtest, Chéri.«
Die Art, wie Michel das sagte, irritierte mich.
»Schon morgen bereust du, wenn du diese Chance nicht ergreifst. Weglaufen ist keine Option. Soll es für uns zwei eine Zukunft geben, müssen wir zurück in dieses Konzert.« Er ergriff meine Hand und mir blieb nichts anderes, als ihm zu folgen.


Eric
Eric zog die Augenbrauen zusammen, als Jackie ohne ein Wort oder eine Geste aus dem Bett stieg. »Was ist mit dir?« Ich kann mich doch nicht so geirrt, ihre Blicke so fehlgedeutet haben. Habe ich in unsere Treffen etwas hineininterpretiert, weil ich mich nach mehr sehnte?
Hat sie deshalb zu Anfang ›nein‹ gesagt? Hätte ich das ernster nehmen müssen? Sie einfach nach Hause bringen?
Aber wieso hat sie behauptet …
»Ich sollte gehen.«
»Warum?« Erklär es mir wenigstens. Der Tag war schön, wir hatten Spaß zusammen. Zumindest bis wir ins Hotel kamen.
»Es wäre nicht gut, wenn mich das Zimmermädchen bei dir antrifft.«
Eric sah Jackie verständnislos beim Anziehen zu. Was kümmert sie das Hotelpersonal?
»Denk an Linda.«
Robert
Robert kam gerade aus dem Bad, als das Telefon klingelte. Mit einem Arm auf die Krücke gestützt, angelte er nach dem Hörer. »Ja.«
»Es tut mir leid, Bob. Ich habe eine furchtbare Nacht hinter mir. Bitte, hör mich an. Ich weiß, das alles war ein Fehler. Verzeih mir!« Jackies Stimme klang weinerlich.
»Hätte er dich mit offenen Armen aufgenommen, wäre ich dir egal. Aber jetzt, wo es nicht in deinem Sinne läuft, kommst du angekrochen und denkst, wenn du dich entschuldigst, ist alles wieder gut. Sorry, Jackie, so funktioniert das nicht.«
»Ich verstehe nicht. Ich …«
Er ließ sie nicht ausreden. »Das ist das Problem. Du bist zu sehr mit dir und deinen Empfindungen beschäftigt. Was andere fühlen, nimmst du nicht mal zur Kenntnis. Du begreifst nicht, dass man Freunde nicht wegwirft wie ein altes Paar Socken, sobald man ein neues kauft?«


Tom
Tom verlor Jackie aus den Augen, nachdem er vergeblich vor ihrem Haus auf sie gewartet hatte. Es brauchte Tage, bis er erneut ihre Spur aufnahm. Letzten Endes fand er sie in einem Motel in Queens unweit des Gästeapartments, das er in seiner Anfangszeit in New York bewohnt hatte.
Der Lift funktionierte nicht, also stieg Tom die Treppen hinauf. Voller Energie nahm er zwei Stufen auf einmal. Als er Zimmer 315 erreichte, klopfte er an die Tür. Weil niemand antwortete, trat er näher heran und lauschte. »Jackie, sind Sie da?«
Erst hörte er undefinierbare Geräusche, dann drang ein krächzendes »Ja« zu ihm vor.
Tom öffnete die Tür und betrat den Raum.
»Was ist denn mit Ihnen geschehen?« Seine spöttische Stimme stand im Einklang mit seinem Blick.
»Nein … Nicht Sie.« Jackie hielt sich die Augen zu, als hoffe sie, er wäre verschwunden, wenn sie die Hand senkte.
»Wissen Sie, dass man Sie sucht?« Tom schob das Fenster hoch. Die abgestandene Luft vermischt mit kaltem Rauch und dem Geruch von billigem Fusel weckte unangenehme Erinnerungen.